3x10 - Der größte Fehler im Krafttraining
3x10, 4x10, 3x15, etc. - jeder kennt diese Satzvorgaben aus seinem Trainingsplan. Doch diese Standardvorgaben sorgen für zwei große Probleme: Erstens fokussiert sich das Training auf einen festen Wiederholungsbereich und spricht damit fast ausschließlich die Typ-IIa Muskelfasern an, während das Potenzial der Typ-I und Typ-IIb Fasern weitgehend ungenutzt bleibt. Zweitens verringert die festgelegte Wiederholungszahl über mehrere Sätze hinweg die Anzahl effektiver Wiederholungen, also der letzten fünf Wiederholungen vor dem Muskelversagen, erheblich.
Frage 1: In welchem Wiederholungsbereich soll ich denn jetzt trainieren?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns überlegen, welche Wiederholungsbereiche welchen Einfluss auf unsere Muskulatur haben. Grundsätzlich müssen wir zwischen drei Haupttypen von Muskelfasern differenzieren, die sich in ihrer Funktion und Struktur stark unterscheiden und durch verschiedene Arten von Training und Wiederholungsbereichen angesprochen werden.
Typ I - Langsame oxidative Fasern (Slow-Twitch, rote Muskelfasern): Diese Fasern sind für Ausdauerleistungen zuständig. Sie enthalten viel Myoglobin, das ihnen ihre rote Farbe verleiht, und nutzen vor allem Sauerstoff, um Energie zu gewinnen. Sie sind ideal für langandauernde, niedrige Intensitäten wie Marathonläufe, da sie resistent gegen Ermüdung sind.
Typ IIa - Schnelle oxidative-glykolytische Fasern (Fast-Twitch, intermediäre Fasern): Diese Fasern sind eine Art Hybrid, der sowohl Ausdauer- als auch Kraftleistungen ermöglicht. Sie können sowohl aerob (mit Sauerstoff) als auch anaerob (ohne Sauerstoff) Energie bereitstellen. Sie eignen sich für Sportarten, die sowohl Kraft als auch Ausdauer erfordern, wie z.B. 400-Meter-Läufe.
Typ IIb - Schnelle glykolytische Fasern (Fast-Twitch, weiße Muskelfasern): Diese Fasern sind spezialisiert auf schnelle, kraftvolle Bewegungen. Sie gewinnen Energie hauptsächlich anaerob durch den Abbau von Glukose und ermüden schnell. Typ IIb-Fasern sind entscheidend für explosive Aktivitäten wie Sprinten oder Gewichtheben.
Die Verteilung dieser Fasertypen ist genetisch vorgegeben, kann aber durch gezieltes Training beeinflusst werden. Denkt man an den Schulsport zurück, erkennt man oft, in welchen Disziplinen man gut oder schlecht war – dies gibt Hinweise auf die eigene genetische Verteilung der Muskelfasern. So kann es in Extrembeispielen sogar sein, dass ein Marathonläufer bis zu 80% langsame Muskelfasern hat, während ein Sprinter oder Kraftsportler bis zu 80% schnelle Muskelfasern besitzt.
Auch wenn sportartbedingt der Fokus oftmals auf einem spezifischen Fasertyp liegen sollte, bieten auch die anderen zwei Arten an Muskelfasern individuelle Vorteile, welche nicht vernachlässigt werden sollten.
Kraftausdauertraining für Typ I Muskelfasern im Bereich von 15-30 Wiederholungen
Verbesserung der Ermüdungsresistenz der Muskulatur
Vergrößerung der lokalen Energiedepots im Muskel (Phosphate, Glykogen)
Verbesserung der Kapillarisierung
Steigerung der Laktattoleranz
Hypertrophietraining für Typ IIa Muskelfasern im Bereich von 8-15 Wiederholungen
Höchstes Potenzial für Muskelhypertrophie
Beseitigung von bestehenden Muskelatrophien
Verbesserung der inter- und intramuskulären Koordination
Neuromuskuläres Training für Typ IIb Muskelfasern im Bereich von 1-8 Wiederholungen
Verbesserung der neuromusklulären Kraftentwicklung
Verbesserung der intramuskulären Koordination
Ausgleich von Kraftdefiziten
Erhöhung der Belastbarkeit der aktiven und passiven Strukturen
Selbst wenn in meinem Sport das neuromuskuläre Training den größten Teil meines Trainings ausmacht, sollte auch ich nicht die anderen zwei Arten an Training und deren Muskelfasern vernachlässigen. Da die Typ IIb Fasern Glykogen als Energielieferant verwenden, habe ich einen nicht zu vernachlässigenden Vorteil davon, dass ich meine Glykogenspeicher durch Kraftausdauertraining für die Typ I Muskelfasern vergrößere.
Wenn Muskelaufbau dein primäres Ziel ist, sollte der Großteil deines Trainings natürlich im Bereich von 8-15 stattfinden, da die Typ IIa Fasern das größte Potenzial für Hypertrophie haben, jedoch können auch Typ I und Typ IIb Fasern wachsen und sollten dementsprechend nicht vernachlässigt werden.
Jemandem einen Satz Kniebeugen mit 30 Wiederholungen aufzuschreiben ist meiner Meinung nach Körperverletzung und dass Seitheben auf eine Wiederholung nicht sonderlich produktiv ist, sollte hoffentlich jedem klar sein. Dennoch kann jeder davon profitieren, auf die jeweilige Übung und das individuelle Trainingsziel angepasst, alle drei Muskelfasertypen in seinem Training anzusprechen.
Frage 2: Was ist denn jetzt der Unterschied, ob 3x10 oder 3x8-15 im Plan steht?
Das Konzept der effektiven Wiederholungen besagt, dass nicht alle Wiederholungen in einem Satz gleichwertig sind, wenn es um den Muskelaufbau und die Leistungssteigerung geht. Effektive Wiederholungen sind jene Wiederholungen, die nah am Muskelversagen ausgeführt werden und somit eine maximale Spannung auf den Muskel ausüben. Diese Wiederholungen aktivieren die sogenannten „hochschwelligen“ Muskelfasern, die das größte Potenzial für Wachstum und Kraftentwicklung haben.
Wenn du ein festes Schema wie 3x10 Wiederholungen anwendest, besteht die Gefahr, dass du das volle Potenzial deines Satzes nicht ausschöpfst. Nehmen wir an, du wählst ein Gewicht, mit dem du tatsächlich 15 Wiederholungen schaffen könntest, brichst aber nach 10 Wiederholungen ab, weil das Programm es vorgibt. In diesem Fall erreichst du im ersten Satz möglicherweise keine effektiven Wiederholungen, da du weit entfernt vom Muskelversagen trainierst. Die letzten 5 Wiederholungen, die tatsächlich schwer werden und in denen der Muskel intensiv gefordert wird, würden komplett fehlen.
Im Gegensatz dazu sorgt ein flexibleres Schema wie 3x8-15 bis zum Muskelversagen dafür, dass du in jedem Satz so viele effektive Wiederholungen wie möglich erzielst. Selbst wenn du 15 Wiederholungen schaffst, sind es die letzten Wiederholungen, bei denen du wirklich ans Limit gehst, die den Trainingseffekt maximieren.
Wenn du zum Beispiel deine 10 Wiederholungen drückst, 1-2 Minuten Pause machst und dann wieder locker 10 schaffst, dann tut es mir leid, dein Training besteht aus 0 effektiven Wiederholungen.
Bevor du dir den Kopf darüber zerbrichst, welche Übung besser oder schlechter ist, in welcher Reihenfolge du diese trainierst, ob der Winkel anatomisch optimal ist, etc. - sorg bitte als erstes dafür, dass deine Sätze bis ins Muskelversagen gehen, so dass du keine einzige Wiederholung mehr geschafft hättest und über 3 Minuten brauchst, bis dein Muskel für den nächsten Satz ausreichend erholt ist.